Ein einfacher Test für die Diagnosestellung des atypischen Hämolytisch-Urämischen Syndroms existiert noch nicht. Da die Erkrankung genetisch bedingt ist, wird der Arzt bei der Erfassung der Krankengeschichte (Anamnese) fragen, ob bereits ein anderes Familienmitglied an aHUS erkrankt ist oder ein Nierenleiden hat. Im weiteren Verlauf wird er nach bestimmten typischen Zeichen und Symptomen suchen und die Ergebnisse der Labortests analysieren. Auf aHUS könnte beispielsweise hinweisen, dass beim Erkrankten ein Nierenversagen in Kombination mit einer zu geringen Anzahl von Blutplättchen und roten Blutzellen festgestellt wurde. Auch Magen-Darm-Störungen, Krampfanfälle und Verwirrtheit können Indikatoren für aHUS sein.
Zu einer schnellen und sicheren Diagnose zu kommen, erweist sich als schwierig, weil bei einer Reihe von anderen Erkrankungen ähnliche Symptome auftreten. Es bedarf deshalb zusätzlicher, spezieller Laboruntersuchungen, um das aHUS von anderen Krankheiten, wie der TTP (thrombotisch thrombozytopenische Purpura) und dem STEC-HUS (durch bestimmte Bakterien ausgelöste Form des Hämolytisch-Urämischen Syndroms), zu unterscheiden.
Wichtige Laborwerte bei aHUS
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Normalwerte
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Veränderung bei aHUS
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Thrombozytenzahl (Blutplättchen)
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150.000-440-000/μl Blut
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erniedrigt
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Hämoglobin |
Männer: 14-18 g/dl
Frauen: 12-16 g/dl
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erniedrigt
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Laktatdehydrogenase (LDH)
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< 250 U/I
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erhöht
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Kreatinin |
Männer: 0,84-1,25 mg/dl
Frauen: 0,66-1,09 mg/dl |
erhöht
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ADAMTS13-Aktivität |
≥ 5 %
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normal
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Shiga-Toxin |
kein Nachweis
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kein Nachweis
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Obwohl aHUS seine Ursache in genetischen Veränderungen hat, ist zum Zweck des eindeutigen Nachweises eine genetische Untersuchung generell nicht zwingend erforderlich. Dennoch könnte sie im Einzelfall sinnvoll sein, weil sie dem Arzt unter Umständen zusätzliche Informationen liefert. Ob solch eine Untersuchung in Ihrem speziellen Fall sinnvoll sein könnte und ob sie weitere Erkenntnisse bringt, kann Ihnen Ihr behandelnder Arzt erläutern.
Warum dauert es manchmal so lange bis die Diagnose steht?
aHUS kommt nur selten vor und äußert sich in ganz unterschiedlichen Beschwerden, die der Erkrankung anfangs nicht eindeutig zuzuordnen sind (Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Atemnot und Erschöpfungszustände, aber auch schwere Herz-Kreislauf-Probleme und Ausfall der Nierenfunktion, sowie neurologische Probleme, z. B. Krampfanfälle).
Eine weitere Schwierigkeit bei der Diagnosestellung ist der Krankheitsverlauf. Bei manchen Patienten treten sehr plötzlich gravierende Symptome auf, wohingegen die aHUS-Anzeichen bei anderen sehr abgeschwächt wahrnehmbar sind.
Manchmal sind die Patienten sogar über lange Zeit gänzlich beschwerdefrei. Die Krankheit kann sich bereits in den ersten Lebensmonaten zeigen, sie kann aber auch erst später ausbrechen. Auslöser für den Beginn sind oftmals Infektionen.
Um aHUS zu diagnostizieren, sind verschiedene Untersuchungen nötig:
- Bestimmung des LDH-Wertes
- Bestimmung des Kreatininwertes
- Bestimmung der Anzahl der Blutplättchen
- Bestimmung des Hämoglobinwertes
Nur durch Blutuntersuchungen lässt sich einwandfrei feststellen, ob ein atypisches Hämolytisch-Urämisches Syndrom vorliegt oder nicht. Ist dieses einmal diagnostiziert, sind regelmäßige Kontrollen wichtig, um die Krankheitsaktivität engmaschig zu überwachen.
aHUS ist bis heute nicht heilbar.
Behandlung des aHUS
Aufgrund der von Patient zu Patient unterschiedlichen Ausprägung der Symptome und der individuellen Auswirkungen wird in der Regel ein genau auf den Erkrankten zugeschnittener Therapieplan erstellt, mit dem Ziel, die Symptome der thrombotischen Mikroangiopathie abzuschwächen und das Komplementsystem zurück ins Gleichgewicht zu bringen. Es werden z. B. Plasmainfusionen verabreicht. Auch eine Plasmaaustausch-Behandlung kann durchgeführt werden. Einem vorübergehenden oder dauerhaften Nierenversagen kann therapeutisch häufig nur mit einer Dialysebehandlung begegnet werden.
Plasmainfusionen und Plasmaaustausch
Das Blutplasma ist der flüssige Teil des Blutes. In ihm sind eine Vielzahl von lebenswichtigen Substanzen sowie Abfallprodukte des Stoffwechsels gelöst. Bei der Plasmainfusion erhalten die Patienten frisches Plasma von gesunden Spendern. Auf diese Weise führt man dem Blut der Betroffenen normal funktionierende Steuerungs- oder Effektorproteine des Komplementsystems zu, in der Absicht, dass in der Folge das Komplementsystem wieder reguliert wird.
Im Gegensatz zur Plasmainfusion ist der Plasmaaustausch ein etwas aufwändigeres Verfahren. Im ersten Schritt der Behandlung werden mit dem Plasma die defekten Steuerungs- oder Effektorproteine aus dem Blut entfernt. Im zweiten Schritt verabreicht man die gesunden Steuerungs- und Effektorproteine in der Hoffnung, das unkontrollierte Komplementsystem zumindest für eine gewisse Zeit „einzudämmen“ und weitere Organschädigungen zu verhindern. Diese Behandlung kann aber nicht die Ursachen von aHUS beseitigen, sie kann nur helfen, die Symptome zu mildern. Leider lehrt uns die Erfahrung, dass die Krankheit trotz Plasmaaustausch weiter fortschreiten kann.
Dialyse und Nierentransplantation
Kommt es im Krankheitsverlauf des atypischen Hämolytisch-Urämischen Syndroms zum Nierenversagen, muss das Blut der Patienten regelmäßig im Dialyseverfahren gewaschen werden.
Dialyse
Die Blutwäsche (Dialyse) hat die Aufgabe, die schädlichen Stoffwechselprodukte aus dem Blut herauszuwaschen. Im Fall eines akuten (plötzlichen) Nierenversagens kann die Behandlung – zeitlich begrenzt – bis zur Wiederherstellung der normalen Nierenfunktion erfolgen. Wenn jedoch die Nieren infolge eines über einen längeren Zeitraum fortschreitenden, chronischen Nierenversagens vollständig und dauerhaft geschädigt sind (endgültiges oder terminales Nierenversagen), ist der Erkrankte auf eine Nierenersatztherapie angewiesen.
Die Dialyse ist eine Form der Nierenersatztherapie. Die Behandlung kann als sogenannte Hämodialyse über eine Maschine durchgeführt werden. Das bedeutet, dass der Patient dreimal pro Woche in einer eigens dafür geschaffenen Einrichtung (Dialysestation) für einige Stunden an die Blutwäschemaschine angeschlossen wird, um sein Blut zu säubern und gleichzeitig überschüssiges Wasser aus dem Körperkreislauf zu entfernen. Neben der Dialyse über eine Dialysemaschine gibt es auch die Möglichkeit, das eigene Bauchfell als körpereigene Barriere (Membran) zu nutzen, über die das Blut gereinigt wird. Dieses Behandlungsverfahren bezeichnet man als Bauchfell- oder Peritonealdialyse.
Die Dialyse lindert nur die Symptome und kann der Krankheitsursache und dem überaktiven Komplementsystem nicht beikommen.
Nierentransplantation
Für Menschen mit einem endgültigen Nierenversagen bietet nach heutigem Stand der Medizin eine Nierentransplantation die beste Versorgung. Die Spenderniere übernimmt dann die Reinigung des Blutes und scheidet überschüssiges Wasser aus. Menschen, denen ein Organ transplantiert wurde, müssen ihr Immunsystem durch Medikamente soweit in Schach halten, dass dieses das fremde Organ nicht abstößt. Sie erhalten daher das Immunsystem unterdrückende Substanzen, sogenannte Immunsuppressiva.
Hemmung des Komplementsystems
Das Komplementsystem, das im gesunden Körper als Teil der Immunabwehr schädliche Erreger erkennt und bei Bedarf zerstört, ist bei den an aHUS erkrankten Menschen ständig aktiviert. Mittlerweile ist es möglich, die übermäßige Aktivität des Systems mit künstlich hergestellten Antikörpern, die über eine Infusion verabreicht werden, zu hemmen. Diese müssen unter Umständen auch nach erfolgter Nierentransplantation weitergegeben werden, damit nicht auch die neue Niere durch die Erkrankung zerstört wird.
Prognose
aHUS-Patienten können heute bei guter therapeutischer Versorgung ein annähernd normales Leben mit guter Lebensqualität führen. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung ist es jedoch weiterhin wichtig, so viele Informationen wie möglich über aHUS zu sammeln, um so ein noch besseres Verständnis der Krankheit zu erhalten sowie deren Behandlung weiterzuentwickeln.